21.04.2021
Seit drei Jahren erfolgreich am Start: Die Lübecker Stiftungsprofessur hat sich etabliert
Nach längerer Vakanz wird am Universitätsklinikum Lübeck wieder Arbeitsmedizin gelehrt: 2017 wurde das Institut für Arbeitsmedizin, Prävention und betriebliches Gesundheitsmanagement gegründet. Die Initiative ging von vier Unfallversicherungsträgerinnen aus: der Unfallkasse Nord (UK Nord), der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), der Berufsgenossenschaft für Verkehr (BG Verkehr) sowie der Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW). Gemeinsam finanzieren sie die Stiftungsprofessur am Institut, an dem gelehrt, geforscht und weitergebildet wird. Warum das aktuell so wichtig ist, erläutern Vertreter und Vertreterinnen der vier Initiatorinnen der Stiftungsprofessur im Interview.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein arbeitsmedizinisches Institut zu gründen? Gibt es nicht genügend?
Martin Ochsenfarth, Abteilungsleiter für Prävention und Arbeitsschutz bei der UK Nord: Zumindest nicht überall, wo es notwendig ist! In der Arbeitsmedizin haben wir ein gravierendes Ressourcenproblem: Es gibt einfach zu wenig Betriebsärztinnen und -ärzte. Als die BGW daher vorschlug, Lehre und Forschung über ein neu gegründetes Institut zu fördern, haben wir die Idee sofort unterstützt.
Jörg Schudmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BGW: Der Anteil der arbeitsmedizinisch betreuten Betriebe ist zwischen 2011 und 2015 von 40 auf 35 Prozent gesunken. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Zahl der Ärztinnen und Ärzten mit arbeitsmedizinischer Fachkunde stagniert: Im Zeitraum von knapp zehn Jahren stieg sie lediglich um zwei Prozent, die Zahl der Erwerbstätigen im selben Zeitraum aber um sieben!
Sabine Kudzielka, Vorsitzende der Geschäftsführung der BG Verkehr: Nicht zuletzt wollten wir dem Sterben der arbeitsmedizinischen Lehrstühle auf keinen Fall tatenlos zusehen. Mit der Stiftungsprofessur fördern wir ein attraktives Aus- und Weiterbildungsangebot, schaffen ein gut aufgestelltes Kompetenzzentrum für arbeitsmedizinische Fragestellungen und stärken die wissenschaftliche Präsenz.
Dr. Jens Petersen, Leitung Arbeitsmedizin und Vorsorge der VBG: Darüber hinaus unterstützt die Einrichtung von Stiftungsprofessuren ganz wesentlich das Fach Arbeitsmedizin in Forschung und Lehre und trägt erheblich zur wissenschaftlichen Begleitung der Arbeit der Unfallversicherungsträger bei. Wir sind davon überzeugt, dass mit Stiftungslehrstühlen die Themen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufskrankheiten, aber auch der heute deutlich erweiterte Gesundheitsbegriff in eine zukunftsorientierte Prävention und Rehabilitation der Unfallversicherungsträger überführt werden können.
Warum Lübeck?
Martin Ochsenfarth, UK Nord: Weil der Lehrstuhl längere Zeit verwaist war und es damit in ganz Schleswig-Holstein keine arbeitsmedizinische Lehre und Forschung gab.
Jörg Schudmann, BGW: Auch die örtliche Nähe zum Standort der Stifterinnen spielte eine Rolle: Im Norden ein Zeichen zu setzen für die Nachwuchsförderung in der Arbeitsmedizin und ein passendes Aus- und Weiterbildungsangebot zu schaffen. Die Trägerinnen der Stiftungsprofessur kommen alle aus Norddeutschland: aus Kiel und Hamburg.
Wie geht das eigentlich? Kann man sich einfach an eine Uni wenden und vorschlagen: Wir hätten da gern einen neuen Lehrstuhl?
Martin Ochsenfarth, UK Nord: Tatsächlich gibt es an allen Universitäten die Möglichkeit, Stiftungsprofessuren einzurichten. Wie die am Ende aussehen, verhandeln Stifter und Uni gemeinsam: Personaleinsatz, Ausstattung, Lehr- und Forschungstätigkeit. Wir finanzieren die Professur erst einmal fünf Jahre lang.
Was erhoffen Sie sich von der Lehre und Forschung in Lübeck?
Jörg Schudmann, BGW: Dass das Fach Arbeitsmedizin an der Universität deutlich besser wahrgenommen wird. Die Attraktivität steigt, wenn es über ein eigenes Institut für Arbeitsmedizin verfügt, in dem gelehrt und geforscht wird.
Dr. Jens Petersen, VBG: Wir sind maßgeblich auf die wissenschaftliche Begleitung unserer Arbeit angewiesen, um unsere Themen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufskrankheiten in eine zukunftsorientierte Prävention und Rehabilitation überführen zu können. Alles, was wir an Strategien und Arbeitsschutzmaßnahmen entwickeln, muss sich an den aktuellen Arbeitsplatzrisiken ausrichten: Die Stiftungsprofessur hilft uns dabei, indem sie die hierfür notwendigen wissenschaftlichen Daten erarbeitet und neue Präventionsansätze in Modellprojekten erprobt.
Sabine Kudzielka, BG Verkehr: Die Ursachen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sind bei unseren Versicherten immer noch sehr bodenständig: Meist sind sie betriebsbedingt. Unsere „Vision Zero“ – also: null Arbeitsunfälle, null Berufserkrankungen – können wir nur erreichen, wenn wir auf allen Ebenen die betriebsbedingten Ursachen bekämpfen. Arbeitsmedizin als Wissenschaft gibt unserer täglichen Arbeit vor Ort die notwendige Basis – und den Betrieben eine nachvollziehbare Grundlage für ihre eigenen Maßnahmen.
Jörg Schudmann, BGW: Was auch besonders ist: Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der Professur ist die Primärprävention. Wie können Unfälle und Berufserkrankungen von vornherein verhindert werden? Das Institut forscht beispielsweise zu den Auswirkungen der Digitalisierung von Beratungsprozessen in der sozialen Arbeit auf die Gesundheit der Beratenden oder zum Umgang mit der Coronapandemie. Ziel ist immer, aktuelle Entwicklungen praxisnah zu erforschen, daraus Interventionen zu entwickeln und deren Wirksamkeit und Tauglichkeit im Alltag zu prüfen.
Welche Bilanz ziehen Sie nach drei Jahren Stiftungsprofessur?
Martin Ochsenfarth, UK Nord: Alle drei Ziele, die mit der Professur verbunden sind, wurden erreicht: Das Institut setzt Forschungsprojekte um, führt Studierende an das Fach heran und bildet Ärztinnen und Ärzte weiter. Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass es einer großen Kraftanstrengung bedarf, einen einmal gestoppten Prozess – die Lehre an einer Universität – wieder ins Laufen zu bringen.
Jörg Schudmann, BGW: Aber: Sie läuft! Und sichert den Nachwuchs: In Kooperation mit den beiden Ärztekammern Hamburg und Schleswig-Holstein führt das Institut mittlerweile Weiterbildungskurse für je 30 bis 40 Teilnehmende jährlich durch. Darüber freuen wir uns sehr.
Dr. Jens Petersen, VBG: Es wird künftig im Bereich Arbeit und Gesundheit mehr um Erhaltung von Gesundheit und weniger um Kompensation gehen. Insofern kommt der Primärprävention eine besondere Bedeutung zu. Damit übernimmt die Stiftungsprofessur eine wichtige Aufgabe zur wissenschaftlichen Begleitung in diesem Prozess.
Sabine Kudzielka, BG Verkehr: Die Arbeit der Stiftungsprofessur wird mit Sicherheit die wissenschaftlich-arbeitsmedizinische Diskussion beleben. Aktuelle, herausfordernde Fragestellungen – wie jetzt während der Coronapandemie – können in der notwendigen Tiefe, aber flexibel und schnell angegangen werden.
Martin Ochsenfarth, Abteilungsleiter für Prävention und Arbeitsschutz bei der UK Nord
Jörg Schudmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BGW
Sabine Kudzielka, Vorsitzende der Geschäftsführung der BG Verkehr
Dr. Jens Petersen, Leitung Arbeitsmedizin und Vorsorge der VBG